Any day could be the last nice day for a long time.

Month: October, 2019

Ich fühl mich Brandenbuuurg

Willkommen in Ohrwurmland, übrigens ist seit diesem Jahr der 20. September Feiertag in Thüringen, wir haben also ein langes Wochenende übrig und da könnte man doch MTBO fahren bei Fürstenwalde, ne? Spontane Meldung eine knappe Woche zuvor, Zugverbindungen über Berlin sind leider alle eher mäßig doll, aber das Wetter wird ja prima und es ist Urlaub, also fahren wir doch nur bis/ab Luckenwalde und haben noch bisschen Radtour.

Freitag also Anfahrt, Zug spuckt uns pünktlich aus, dann brauchen wir aber erstmal Kaffee/Cola, um unterm bedeckten Himmel Motivation zu finden. Wir fahren mal wieder nach Autorouting, heute eine Wanderroute von Graphhopper, das funktioniert erstaunlich gut. Wir sind ja auch grad erst angekommen, ich freu mich an der Ostseelandschaft voller Sand und Kiefern, die Wege sind größtenteils erfreulich sicht- und fahrbar, die Sonne kommt dann auch bald raus und wir machen gut Strecke durch Brandenburgs Weite; wenn man hier irgendwas reichlich hat, dann isses Platz, da baut man halt mal ne Brandprüfstelle und vermutlich eine Anlage für Testsprengungen mitten innen Wald, da kommt eh keiner vorbei. Und ne große Baustelle, wo wir dann wirklich bisschen über die Dünen wandern können. Brandenbuuurg!

Ich fühl mich arg an die Rallye in Drawsko erinnert, wir kriegen das ganze Programm von verwachsenen Wegen durch die Heide inklusive besoffenem Pilzsammler zwischendrin, die obligatorischen Bastelarbeiten werden heute ausgelöst von einem 2cm langen rostigen Nagel, der die Luft meines Hinterrads drastisch reduziert. Aber wir kommen trotzdem noch bei Tageslicht in Kolpin an und dürfen unser Zelt auf die Campingwiese bauen, noch ein Bierchen, dann gesunder Vorwettkampfschlaf.

Am Samstag sind wir zeitig wach und aufbruchsbereit, gurken durch den Wald (übern Berg! 70Hm! Brandenburger Gebirgslandschaften!) nach Bad Saarow, gönnen uns dort noch einen Aufwachkaffee und sind dann pünktlich am Start in Alt Golm. Der Papierkram ist heute maximal unhandlich, A4-Wertungskarte (zu beschriften – heute sind Buchstaben statt Lochzangen oder SI-Stationen im Wald versteckt) und A4-Postenbeschreibungen, beidseitig bedruckt. Auch die Karte ist riesig, stabiles A1-Papier, inklusive Deckblatt und Legende. Braucht man nicht, aber so können wir anschließend direkt nachlesen, dass die Karte zwölf Jahre alt ist, was wir auch direkt nach Verlassen des Dorfs schon merken, da passen schon die ersten Dinge grob überhaupt nicht.

Justus orientiert trotzdem beeindruckend genau, es hilft bloß nix, denn am zweiten Posten finden wir drei weitere Teams vor, wir schwärmen alle zusammen ne ganze Weile in den Wald aus, aber vom Posten gibt’s keine Spur. Er hing dann wohl auch an ner ganz anderen Ecke des Waldes, da war’s wohl die richtige Entscheidung, nach ein paar Minuten Herumirren einfach weiterzufahren. Justus knurrt den Wald an, wir rollen weiter Richtung Streitberg, finden den Ort, wo der nächste Posten sein sollte, aber den Posten gibt’s abermals überhaupt nicht. Wieder einige Zeit mit rumgucken verdödelt, nichts als Brennnesseln gefunden und schließlich aufgegeben, inzwischen knurrt Justus ziemlich laut den Wald an. Mir obliegt es also, noch sowas wie Motivation zu versprühen, aber es fällt mir ehrlich schwer – wenn man durchn Wald gurkt und Posten findet, ist das ja alles Selbstzweck, aber wenn man eben keine Posten findet, könnte man auch irgendwo durchn Wald gurken, wo’s weniger Brennnesseln und im Weg rumstehende Kraftfahrstraßen und Autobahnen gibt.

Wo Straße, Autobahn und Spree gequert werden können, geht aus der Karte auch nur unzureichend hervor, wir beschließen also, nicht weiter zu pokern und die Strecke auf diesseits von Fluss und Autobahn umzuplanen. Immerhin finden wir anschließend auch wieder Dinge an den Posten, geht doch. Und Justus orientiert tadellos, ich hingegen keuche nur hinterdrein und möchte eigentlich weinen über diese unmögliche Karte. Die enthält eine weitere Überraschung westlich von Fürstenwalde: der als gut befestigt eingezeichnete Weg ist geradeso sichtbar und wird dann immer unsichtbarer, bis wir die Räder durch Schutthalden und über Wildwuchs bis zur nächsten Straße tragen. MTBO mon amour!

Im Wald ist sowieso alles Raten für Fortgeschrittene, es fehlt immer mal n Weg oder es gibt ein paar zuviel, Justus rechnet zwar, dass wir die Posten in den Rauener Bergen von der Distanz her noch alle holen könnten und dann noch bisschen Langeweile übrig haben, aber ich vermute richtig, dass wir hier nochmal ne Menge Zeit in Suchaktionen lassen. Trotzdem glaubt Justus, es sei eine clevere Idee, zum nächsten Posten einfach “an der Engstelle zwischen den beiden Wegen” 100m durch den Wald zu tragen, statt den halben Kilometer Umweg rundrum zu fahren, aber das erfordert erstens, dass man weiß, wo sich jene Engstelle genau befindet, und zweitens, dass auch der zweite Weg, auf den zu stoßen man hofft, wirklich existiert.

Ok, es existierte irgendein Weg da in der Nähe, aber mit der Karte hatte der nix zu tun, keine Ahnung, wie Justus am Ende trotzdem den Posten finden konnte. Es wird auch nicht besser – wir rollen raus auf eine große, markante Kreuzung, die so nirgends auf der Karte drauf ist, vor uns zieht grade eine laute Sechsergruppe überzeugt in eine Richtung ab, für uns ergibt das alles keinen Sinn, aber nach Besichtigung des Kompasses entscheiden wir uns für den gleichen Abzweig – der aber auch mit nichts übereinstimmt, das wir in der Karte identifizieren können, wir rollen in eine Phantasierichtung bergab und ich wär jetzt an dem Punkt, dass ich einfach nur noch vor der Zielzeit Alt Golm wiederfinden möchte, aber Justus findet den nächsten Posten. Das muss irgendeine geheime Superkraft sein.

Leider finden wir auch die Sechsergruppe bald wieder, denn die müssen jede Richtungsentscheidung erst in der Gruppe ausdiskutieren, und ich hab noch genug Restenergie, von dem Haufen genervt zu sein, also nicke ich leichtfertig, als Justus vorschlägt, heimwärts nochmal schnell übern Hügel zu fahren. Tja, man hätte den simplen Straßenposten haben und drei Minuten vor Schluss entspannt einrollen können, aber für zehn Punkte mehr keulen wir doch gern nochmal aufn Sandhügel, der an der vermuteten Stelle absolut keinen Posten enthält. Justus knurrt den Wald an, dann holpern wir irgendwie quer übers Feld runter nach Neu Golm und meine Beine sind nicht mehr so richtig zielsprintfähig, aber zum Glück gibt’s hier zart bemessene Strafzeiten, da hätten wir noch viel länger im Wald rumdödeln können. Am Ende wird anerkannt, dass “mindestens drei Posten” einfach mal grob falsch gehangen haben, na jedenfalls haben wir’s aufs Treppchen geschafft, jippie.

Am nächsten Morgen schlafen wir aus, die Sitzfläche fühlt sich erstmal wieder ok an, aber die Beine sind doch so bisschen verbraucht, und inzwischen haben wir vermutlich auch alles gesehen, was der Brandenburger Kiefernwald kann, meine Begeisterung ist eingeschränkt und schon die ersten zehn Kilometer durchn Sand sind unsinnig anstrengend (heute nach MTB-Autorouting, bei dem immer mal nichtexistente Wege dabei sind, quasi wie gestern). In Storkow kriegt man übrigens aufn Sonntag keinen Kaffee, am Groß Schauener See aber immerhin Radler und Fischbrötchen, der Wald bleibt arg sandig und eintönig, das Sitzfleisch verbraucht sich und ich will eigentlich hauptsächlich heim jetzt, reicht. Tatsächlich haben wir Beschäftigung bis zur Abfahrt des Zuges kurz nach fünf, und der Zug ist dann auch bis Leipzig voller Polizei, Fußballfreunde und Ballermannschlager. Immerhin die letzte Stunde wird ruhig, ich komm grad noch den Hügel zur Wohnung rauf, fertsch.

Not all those who wander are lost

Laufveranstaltungen sind ja eher nicht so meins. Andererseits ist nun halt der 6. Sachsen-Rogaine in Erdmannsdorf, Undine und mir ist nach bisschen Bewegung an der frischen Luft und sechs Stunden Wandern mit Postensuche klingen ja gar nicht mal so schlecht, das kann man schon machen. Mit weiteren Details hab ich mich im Vorfeld gar nicht beschäftigt, das wird schon passen – so überrascht mich der Plan, dass am Renntag um sechs der Wecker klingelt, obwohl wir erst nach dem Mittag starten (wir sind nebenher noch für Orgadinge eingeteilt). Ich bin also eher nicht so munter, als wir (ebenfalls überraschend) schon eine Stunde vor Start die Karten kriegen. Im Gegensatz zum MTBO hat man hier viel Zeit zum Planen, damit kann ich nicht umgehen – Justus macht den guten Vorschlag, dass wir uns doch mal kurz zurückziehen und pro Person einen Plan machen und diese dann vergleichen sollen, das machen wir so, haben dann also zwei recht gute Pläne, und schmeißen diese drei Minuten nach dem Start über den Haufen.

Bestimmt war’s Undis Unterbewusstsein, das dringend in den Wald wollte, und mein Unterbewusstsein, das Spontanplanung vorzieht, jedenfalls bogen wir direkt vorm WKZ in einen Waldweg ein und stellten nach ein paar hundert Metern fest, dass wir jetzt aber schon in Richtung eines völlig anderen Postens laufen – dann ist das halt so, da isses bestimmt auch schön. Wir brauchen eh bisschen Zeit zum geistigen Warmlaufen, der Wald hat nicht übertrieben viel mit der Karte (1:50000) zu tun und wir navigieren dann hauptsächlich nach Höhenlinien, denn Wege und Schneisen helfen überhaupt nicht. Schließlich find ich aber doch den ersten Posten und wir laufen motiviert dem anderen Team davon, das da rumstand, ab jetzt Hirn einschalten, dann läuft’s vielleicht.

Orientierung nach Höhenlinien und Waldkanten funktioniert erstaunlich gut, ich kann sogar mal kurz die von Undi angesteuerte Richtung korrigieren, Wandertempo passt also vielleicht ganz gut zu meinem Denktempo. Bergauf ist beschwingtes Turbowandern dran, bergab joggen wir sogar ein bisschen, die Strecke ist landschaftlich hervorragend (immer mit schickem Ausblick auf Augustusburg) und das Wetter optimal (mittelkühl, bedeckt und trocken). So gehen Laufveranstaltungen! Auch die Posten finden wir mit nur minimalen Suchaktionen, die Querfeldeinläufe lassen unsere Beine weitgehend unversehrt und schließlich erreichen wir bequem in der Zeit das Ziel, und zwar joggend, Treppchenplatz war uns eh vom Start weg sicher, das Kuchenbuffet wartet schon, voller Erfolg, yay.

Komplett im Arsch

MTBO können wir gleich nochmal machen… drei Monate später. Der Sommer ist fortgeschritten, die Form weniger, Festivalsaison war irgendwie auch und eventuell ist Alkohol der Fitness gar nicht mal so zuträglich. Unsere Selbstzweifel sind jedenfalls ausgeprägt genug, dass wir die Anfahrt nach Mellingen zum MTBO Weimarer Land per Bahn erledigen, denn die Beinmuskeln werden wir in den nächsten fünf Stunden bestimmt noch brauchen.

Die Startzeit ist zwar human, aber richtig munter bin ich irgendwie trotzdem nicht, und Justus hat auch eine entschieden andere Auffassung als ich davon, was “locker warmfahren” bedeutet. Heute seh ich vor allem seine Rückseite, aber die ist ja auch schön, ne. Ebenfalls schön ist, dass die Karte nach Süden rausgeht, wo ich mich immerhin ein bisschen auskenne – zwar nicht sehr, aber über den tatsächlichen Verlauf der Wege bin ich doch besser informiert als die Karte. So finden wir entspannt die ersten drei Posten, und von da an geht’s bergauf.

Der klassische Sommer-Südwestwind ist nicht mein Freund, meine Beine sind auch ohne das unwillig genug, außerdem glüht mein Schädel, egal wieviel ich trinke, und Postenbeschreibungen kann ich mir auch nur schwer merken. Zum Glück ist Justus topfit und hat am Posten oftmals schon hundert Meter Vorsprung, locht und kehrt um, und ich kann mich derweil mit so abstrusen Problemen beschäftigen wie dem, dass eine Ameise ins Ventil meiner Trinkblase geraten ist (was?!).

Mit Ameisenresten im Mund geht’s wieder bergab, und in Saalborn finden wir den ersten Teil der Schatzkarte (das Rennen enthält eine Sonderwertung: wenn man alle neun Spezialposten findet, bekommt man 250 Zusatzpunkte, aber nur sieben dieser Posten sind auf der Karte eingezeichnet, die Lage der anderen erfährt man an irgendeinem der Spezialposten auf einer dort angebrachten Zusatzkarte). Schwein gehabt, wir haben die Runde richtigrum geplant, sodass beide Zusatzposten kaum einen Umweg bedeuten, wohl aber wirre Wege durch den Wald, die sich kaum noch mit der Karte decken. Justus fährt irgendeiner Richtung nach, ich habe keinen Plan mehr, aber wir kommen trotzdem am Karolinenturm raus. Danach wird’s leider auch nicht besser, der anvisierte Weg führt schwungvoll bergab ins Gemüse und endet dort, zurück wieder hoch, in einen verwachsenen Phantasieweg rein, Justus grad noch sichtbar irgendwo vor mir, tiefe Matschrillen, Brennnesseln, Brombeerdornen, tiefhängende Äste, Justus grad noch hörbar irgendwo weit weg, MTBO mon amour. Ich möchte mich in den Wald legen und sterben, scheiß auf die Sonderwertung, ich will heim, aber zum Glück lässt Justus das nicht durchgehen, fährt gutgelaunt weiter vor mir her und behauptet glaubhaft, er wisse genau, wo wir sind, und diese herrliche abgemähte Wiese sei doch wunderbar zu fahren.

Meine Kraft kommt davon zwar nicht wieder, aber das Ziel näher, wir finden im Schnelldurchlauf die beiden letzten Spezialposten und außerdem geht’s dann nur noch bergab bis Mellingen, sodass ich wenigstens für die letzten zehn Minuten meine Euphorie wiederfinde, gutgelaunt und bequem in der Zeit am Sportplatz einrolle und dort direkt von der Zielamnesie überwältigt werde: war super, können wir gleich nochmal machen! (Extrabienchen für Pizza und Radler als Zielverpflegung. Gerne wieder.)