Any day could be the last nice day for a long time.

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Category: Irgendwas mit Startnummern

Tumult!

Zeit verfliegt, Zeit verrinnt, vergiss niemals, du wirst alt, mein Kind

Das MTBO-Saisonfinale meiner letzten Saison vor Seniorenklasse findet praktisch daheim statt: die Ilmenauer veranstalten ein Rennwochenende am Stausee Hohenfelden. Für den Abend zuvor lädt Pfote zum Konzert nach Leipzig, und weil wir nichts aus Fehlern lernen, sagen wir zu, unter der Auflage, dass er dann auch das Samstagsrennen (Mitteldistanz Einzel) mitfährt, damit er mal sieht, wo er uns da reingeritten hat. Das führt dazu, dass Pfote in den drei Wochen ab Bekanntgabe des Plans mehr über MTBO nachdenkt als ich in meinem ganzen Leben, und wir beim Prä-Konzert-Döner noch OL-Karten diskutieren. Jedenfalls war das Konzert diesmal rundum gut, wir hatten trotzdem über 6h Schlaf und finden uns am Samstag im Morgennebel dann alle am Stausee ein, Pfote wirft ne Münze und meldet sich dann für seine MTBO-Premiere direkt mal in die Altersklasse (H40), erspielt sich damit eine Startzeit 4min nach mir (auf der gleichen Bahn) und dann dürfen wir am frühen Nachmittag endlich starten.

Only sleep five hours, that's the key

Pfote hat zwar sein Gravelrad dabei, aber auch deutlich bessere Beine als ich, schon auf der Anreise zum Start haut er mir ständig ab. Ich hab also ab Startpiep das einzige Bedürfnis, wenigstens bis zum ersten Posten noch vorn zu bleiben, denn binnen kurzem wird er mich ja eh kriegen. Gleich nach dem ersten Posten treff ich aber schon die erste dumme Entscheidung, der Weg führt durch den Sumpf, nach den Hinweisen vorab dacht ich “ja komm, zwei große Pfützen, fährste halt durch”, aber der Sumpf ist Sumpf, ich bin in Schritttempo unterwegs und muss auch mehrmals mein feststeckendes Rad aus der Mumpe ziehen. Da ich Pfote das ganze Rennen lang nicht sehe, geh ich davon aus, er hat sich hier bestimmt für die bessere Route entschieden und mich da schon überrundet.

Ich trage dich durchs Moor und ich stell keine Fragen

Immerhin Irma seh ich dann schon am zweiten Posten wieder, bei den ganzen Wegen unter Forstautobahnkategorie denk ich heut “willste mich verarschen”, alles murksiger Schlamm mit viel Totholz dazwischen und ergo nur semifahrbar. Aber man kann ja zum Glück große Teile des Rennens auf Forstautobahn dahinbolzen, erst zum vierten Posten muss man mal wieder einen Minisumpf durchqueren und dann einen schmierigen Modderweg bergab rutschen, dann kommt die nächste lange Schotter- und Asphaltverbindung, auf der ich einsehen muss, dass ich an Juliane diesjahr einfach nicht dranbleiben kann. Aber ich fahr was geht, mach keine fiesen Orientierungsfehler mehr und erreiche dank abwesender Konkurrenz sogar mal einen zweiten Platz, und Pfote findet nach langem Herumirren immerhin auch wieder aus dem Wald raus.

Top every mountain, cross every hill

Sonntag dann Teil 2, im Team mit Justus zu 4h Score auf nochmal ner sehr anständigen OL-Karte des Gebiets um Hohenfelden. Das Wetter ist perfekt, goldener Herbst mit nem kühlen Lüftchen und spaßiger Untergrundverschlammung, Justus ist solide in der Groborientierung unterwegs, mein Hirn gibt solide Feinorientierung am Posten her, das funktioniert. Einzig doof läuft, dass ich auf irgendeiner rumpligen Abfahrt gleich am Anfang meine Trinkflasche einbüße, das aber erst ne halbe Stunde später bemerke, ich fahr also das ganze Rennen mit zwei Schlucken Wasser aus Justus’ Flaschen, dezent dehydriert. Trotzdem aber ausreichend fit, dass wir alle Berge noch gut hochkommen, sogar den Riechheimer Berg, den wir etwas ungeschickt ganz an den Schluss der vierstündigen Runde gelegt haben. Und 20 Punkte haben wir sogar noch im Wald liegen lassen, weil mir Justus nicht glauben wollte, dass wir die easy noch schaffen – völlig verkehrte Welt! Ist aber dann zum Glück egal, wir bekommen Finisherbier und Treppchenbier und das war ein sehr gutes Wochenende.

Bald schon, sehr bald schon wirst du erledigt sein

If I am dead, where do I go from here?

Justus: 'Hast du alles?' - 'Meinen Orientierungssinn hab ich daheim vergessen.' - Heidi: 'Das macht nischt, wir kriegen ne Karte!'

So, und nu fährt Häuptling Ironjaw also nach zwei trainingsfreien Monaten zur Deutschen Meisterschaft. Sichi. Dafür qualifizieren muss man sich im MTBO ja zum Glück nicht, man kann also gut mit dem Ziel antreten, halt in <3h wieder aus dem Wald rauszukommen. Ich war schonmal besser beisammen, das allein wird vermutlich schon hart genug.

Ich starte gemeinsam mit einer D60-Gegnerin, der Weg zum ersten Posten ist der gleiche, sie fährt mir weg. So wird das heute. Weiters hatten wir ja überlegt, ob in den “Krausnicker Bergen” wohl tatsächlich ein Berg zu finden ist, ist ja Brandenburg, aber schon vorm zweiten Posten muss ich warme Kleidung ablegen und erstmals schieben. Das ist hier allerbestes Kackwellenreiten (Kackwelle = offizieller Fachbegriff für Geländeerhebungen <100Hm), lauter so senkrechte Minihügel aus Sand, und in den Senken immer n Baumstamm quer oder ne Rinne oder sonst irgendwas, das dynamisches Durchrasen verhindert, hier würden sich paar Wadenmuskeln ganz gut machen, aber naja, muss jetzt so gehn.

Bogenschützen im Wald bei Justus: 'Jetz is frei!'

Bis zum 9. Posten orientiere ich gar nicht mal so doof, aber der Mangel an Beinmuskeln stört doch so bisschen: sobald ich die Forstautobahn verlasse, steh ich einfach. So komm ich nach dem 9. Posten dann auf die doofe Idee, den Umweg via Straße zu fahren, aber so viel schneller bin ich da dann auch nicht, da weht nämlich Wind, also zurück auf die Sandpisten, schon egal. Im Finale gerate ich vorm vorletzten Posten auf einen falschen Weg, kapiere das aber erst, nachdem ich meine Lunge fast ins Moos gekotzt hab, um auf eine steile Kuppe raufzukommen, wo ich gar nicht hin musste. Yay. Völlig fertig ins Ziel gefallen, alle sind im Eimer, also alle außer Leibi (H60): “Was isn jetz, gehmer jetz noch ne Runde Radfahren oder was?”

Bier öffnen am Lagerfeuer mit DM-Medaille

Nach sehr gutem Abendessen (die Jugendherbergsköchin hatte bestimmt nicht mit den MTBO-Heuschrecken gerechnet) und Lagerfeuer sind wir dann am nächsten Morgen ausreichend genesen für noch ne Mitteldistanz. Ausreichend, aber nicht optimal: der Weg zum Start führt 400m durch die Sandgrube und danach hab ich das Gefühl, jetzt eigentlich genug geleistet zu haben für den Tag. Aber nein, der Startpiep kommt, wir suchen noch kurz den gut versteckten Orientierungsbeginn und dann muss ich hardcore Höhenmeter rausoptimieren, um das heut irgendwie zu überleben, weshalb ich viel sinnlose Umwege fahre und abermals keinen Stich sehe. An der Schiebekackwelle am Aussichtsturm auf dem Wehlaberg denk ich kurz drüber nach, da jetzt einfach zu sterben, aber dann geht’s endlich wieder in den flacheren Osten der Karte, ich komm plötzlich vorwärts, sehe vereinzelt noch MitfahrerInnen und kann sogar noch paar Leute überholen, sodass ich mit einem wunderbar triumphalen Gefühl ins Ziel rolle: ich hab’s voll drauf, ich bin nicht Letzte geworden! Und mehr war dann wohl auch nicht zu erwarten, nächstes Mal vielleicht mal trainieren vorm Wettkampf?

Juja mit unförmiger Karte auf dem Halter: 'Guck, ich musste heute nicht umbasteln!' - Justus: 'Ui, du hast dir eine Reliefkarte gebaut!'

Somebody put me together

Abgeschnittene Beine auf einem Hochstand: 'Hier oben is nischt.' - Stimme aus dem Gebüsch unten: 'Oh, hier!' - Uwe: 'Ein O?'

Jeder Wettkampf könnte der letzte des Jahres sein. Erstmal sind ja sämtliche Augustpläne nachhaltig auf den Asphalt gekracht, das Zombiegesicht wurde neu verschraubt (das klingt jetzt fies, aber alle, die mir danach begegnet sind, waren enttäuscht, wie unspektakulär ich aussehe) und zwei Monate bin ich zu Wiedereingliederungszwecken aufm Rad fast nur Strecken gefahren, die vernünftige Menschen zu Fuß zurücklegen würden – und Ende September, während die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags munter vor sich hin eskaliert, probieren wir’s halt mit Ablenkung durch Wettkampf, und zwar die MTBO-Challenge in der Märkischen Schweiz (4h Score im Zweierteam), kann ich überhaupt noch vier Stunden aufm Rad sitzen oder kipp ich nach der halben Zeit schon um vor Erschöpfung?

Kastanienzweig

Überleben ist heute also mein Hauptziel; immerhin ist der Quatsch mit der Sommerhitze jetzt mal vorbei, zum Wettkampf gibt’s zart zweistellige Temperaturen und Sonnenschein und Sturmwind, mangels Alternativen gradso machbar in kurz-kurz. Als zusätzlichen Windschutz stellt der Veranstalter die Postenbeschreibung zur Verfügung: mit dem beidseitig in Schriftgröße 6 bedruckten A4-Zettel auf der Brust hab ich’s schön warm. Justus’ Neigung zu fast unsichtbaren Rumpelwegen heizt mir auch ein und wir sind vergleichsweise flink dabei in der Feinorientierung: an den Posten sind wahlweise Spraybuchstaben oder kleine laminierte Zettelchen zu finden oder Leitersprossen zu zählen, da kann man viel Zeit lassen oder gewinnen; Uwe fährt doppelt so schnell wie wir und steht am nächsten Posten dann doch jedesmal wieder suchend rum, Hirn geht heute gut bei uns.

Im Wald vor einem Hochstand, Justus zählt, Juja mit Notizzettel, Uwe: 'Klassischer Sechser.'

Außerdem hatten wir vermutlich noch bisschen Glück mit unserer Routenwahl: wir haben grob die halbe Karte geschafft und auf unserer Südrunde lagen wohl doch noch ein paar Punkte mehr rum als im Norden, sodass wir mit zwei Posten weniger als Team “Immer auf der Suche” trotzdem in der Punktwertung siegen konnten – und dazu hatte ich mal wieder richtig Spaß am Radfahren, allein dafür hat sich’s voll gelohnt.