Any day could be the last nice day for a long time.

Category: Irgendwas mit Fotos

Aaaber ich kann länger als Sie!

Man sollte meinen, mit dem Alter kommt die Weisheit. Also zum Beispiel die Einsicht, dass es nur mäßig schlau ist, in den R-Monaten schon epische Radabenteuer zu starten, denn schließlich kann’s da auch durchaus noch stürmen und schneien. Leider konnten wir auch diesmal nichts aus Fehlern lernen, es wird also nur noch schlimmer.

Keine Ahnung, wie Justus überhaupt darauf kam, Ende März am Sachsenbrevet über 200km teilnehmen zu wollen. Dass wir beide grundsätzlich in der Lage sind, auf dem Rad 200km zurückzulegen, wurde bereits zu früheren Gelegenheiten erwiesen, dass wir aber gerade jetzt dazu in der Lage sein werden, nach einem eher faulpelzigen Winter und mit eher wenigen Jahreskilometern in den Beinen, das darf doch immerhin bezweifelt werden. Immerhin enthält aber die Strecke, die wir eine Woche vor Start erhalten, eine Menge an Höhenmetern, die dem hartgesottenen Mittelgebirgsbewohner nur ein mitleidiges Lächeln entlockt, da bin ich dann doch mal vorsichtig optimistisch, und da auch der Wetterbericht optimale Bedingungen verspricht, freu ich mich vor wie auf Weihnachten.

Um das Tageslicht optimal zu nutzen, müssen wir natürlich um kurz nach fünf den Zug besteigen, am Start in Bennewitz scheint aber schon doll die Sonne, und dass hier ein Starterfeld versammelt ist, das dem des Triathlons so unähnlich wie nur irgend möglich ist (körperlich das ganze Spektrum von Bergfloh bis Bulldozer, herrlichste Stahlrenner überall, dazu hört man beachtlich häufig irgendwas von “Eiorschegge”), macht die Veranstaltung gleich sympathisch. Dazu haben wir den besten aller “Rennstarts” – der Organisator fährt gemeinsam mit uns in der letzten der vier Startgruppen: “Wann wolltmer denn los?” – “Na eigentlich genau jetz.” – “Na da fahrmer halt ma los.” Die Gruppe setzt sich äußerst gemütlich in Bewegung, wir rollen im Rudel durch Wurzen und bis zum ersten Hügelchen, über das ich mich kurz lustig mache, das dann aber trotzdem genügt, um das Feld zu spalten – und wir sind mehr so hinten. Naja, wir wollen ja heut auch noch wohin, und immerhin zu zweit können wir uns ja noch Windschatten geben, was in der Praxis bedeutet, dass ich die meiste Zeit hinter Justus hänge. Tja ne.

Vor Prettin dürfen wir erstmals Elbfähre fahren, treffen am Anleger ein paar enteilte Radfahrer wieder und holen uns in einer Prettiner Apotheke den ersten Kontrollstempel. Es widerstrebt mir ein bisschen, fremden Leuten zu erklären, dass ich beabsichtige, heute 200km zu fahren, wenn doch noch ganz und gar unklar ist, ob ich vielleicht nach 140 schon hinschmeiße. Weiter geht’s nach Bergern, nochmal Elbfähre, danach Paris-Roubaix-Gedächtnispflaster, ich fühle mich übertrieben gut, wenn hinter mir irgendwelche Leute fluchen, ihr Carbonrenner sei für sowas nicht gebaut. Ich fühl mich mit meinen 23mm-Puschen pudelwohl auf dem Scheiß! Wir spielen bisschen Hase und Igel mit einem Pärchen, immerhin navigieren krieg ich hin, Edgie ist mein Freund. In Oschatz ist die nächste Kontrolle, gut 100km geschafft und immer noch nicht so hungrig, dass uns das Gebäckangebot der Tankstelle überzeugt – wir beschließen, uns nur schnell neues Zuckerwasser in die Flaschen zu kippen und dann doch erstmal übern Berg zu fahren. Also den “Berg”, den Collmberg – nachdem die andere Frau aus unserer Startgruppe Angst und Schrecken vorm Anstieg verbreitet hat, kräht mein Hirn fortwährend “Scheiß drauf, du warst schon aufm Galibier”, und trotz aller Anerkennung der Mühe, die sich die Leipziger Tieflandsbucht gegeben hat, sich hier einen auffälligen Pickel wachsen zu lassen, bereitet mir die Auffahrt deutlich mehr Freude als Schmerz. Im Anschluss sind wir dann auch hübsch ausgehungert und räumen in Dahlen einen Bäcker halbleer (grandioser Pflaumenstreuselkuchen!), speisen stilecht auf dem Pflaster davor, dann geht’s wieder ins öde Flachland.

Eigentlich ja alles anspruchslos und sogar der Wind hat sich beruhigt (oder steht wieder günstiger), aber trotzdem könnt ich mir bei Kilometer 150 wahrlich nicht vorstellen, nochmal soviel zu fahren. Schlimmer, bis zur dritten Kontrolle (175km) werd ich immer lahmarschiger und führe permanente Diskussionen mit mir selber, dass es doch Quatsch wär, mein schönes Fahrrad in den Graben zu werfen und mich daneben zu legen, denn mein Fahrrad ist unschuldig und ich will wieder heim und wenn ich mich erstmal in den Graben lege, ist überhaupt ungewiss, ob ich wieder hochkomme. Ich zähle Kilometer runter, der Strich aufm Edgie hilft auch überhaupt nicht, der zeigt nämlich grad beharrlich in die entgegengesetzte Richtung vom Ziel, olle Scheiße. Weitertreten, nicht denken. Kann ich eh nicht mehr so gut grad. Nach der Kontrolle an der Tankstelle von Bad Düben esse ich eine Dahlener Restbrezel und diese füllt magisch die Akkus wieder auf, die Beine kooperieren plötzlich wieder, wir dürfen jetzt Richtung Bennewitz fahren und außerdem rückt das Zehnstundenziel in greifbare Nähe, wär doch schon cool, das jetzt noch hinzukriegen. Wir rasen also ohne alberne Umkleidepausen (den ganzen Tag kurz-kurz, yay!) durch bis zum Ziel, kriegen kurz vor Schluss noch einen kitschigen Sonnenuntergang und dann isses geschafft, jippie! Wir haben verspannten Rücken und Nacken, am nächsten Morgen arg müde Beine und wunden Pops, aber natürlich, das erwartbare Ergebnis: “Wollen wir nicht in zwei Wochen die 300 mitfahren?” (Nee, ich will n neuen Sattel, echt mal.)

Hello Darkness My Old Friend

Warum ich nie wieder am Adventure Race teilnehmen möchte: man muss absurd früh aufstehen. Diesmal: Morgenbriefing um halb acht, davor Startunterlagen abholen, davor nach Tautenburg radeln, weil die Kackstraße just gesperrt ist, also vor sieben den Zug besteigen, also vor sechs aufstehen, Brötchen aufbacken und Kaffee schlürfen. Funktioniert alles im Zombiemodus, und tatsächlich sind Mädchenteam und Jungsteam pünktlich in Tautenburg am Start.

Wir starten halb neun mit einem kleinen Aufwärmjogg um Tautenburg, bei dem ich gleich mal auf kurze Bekleidung und Wandermodus wechsle. Da auch der Vorabend eher chaotisch ablief, sich drei der vier Beteiligten (u.a. ich) gegen zehn überlegten, noch Dinge an ihren Rädern richten zu müssen und dann kopflos Zeug zusammenpackten, hab ich erstmals keinen Hungerkuchen zum Rennen. Die Schlappheit meiner Beine liegt natürlich nur daran und hat bestimmt nichts damit zu tun, dass ich in den letzten drei Monaten ganze zwei Mal joggen war.

Foto: BIKE POINT JENA

Danach dürfen wir aufs Rad – hochmotiviert, die Woche in Franken war wirklich erstklassiges Mentaltraining, hier ist alles so fahrbar. Wir überholen am Berg und im weichen Schotter erste Jungsteams, was sind wir fit. Hoffentlich so fit, dass wir dieser Frau mit der Feldwebelstimme noch entkommen, die brüllt doch so bisschen anstrengend den Wald zusammen, aber vielleicht ist ihr Teampartner ja schwerhörig. Kleiner Panikmoment an der Abfahrt, Undine ist hinter mir abhanden gekommen, also nochmal hoch, aber sie hat nur ihre verlorene Startnummer eingesammelt, alles ok.

Selbst der Orientierungslauf wird diesmal bisschen fies, denn es geht senkrecht hinauf aufs Wöllmisseplateau, und senkrecht wieder runter. Undine plant perfekt und läuft hier auch bereitwillig die Zusatzschleifen zum Posten, ich bin sehr dankbar, denn mein Knie wird gefühlt immer dicker und meine Waden fühlen sich an wie Betonpfeiler, hier geht nix mehr.

Foto: BIKE POINT JENA

Zum Glück folgt Entspannung für die Beine, bisschen Dödelei auf dem Rad Richtung Porstendorf, dann ins Boot (natürlich ein blöder Kanadier). Die Saale hat Strömung, schon der erste Posten ist ein wenig interessant, und alle entgegenkommenden Teams, die wir fragen, ob’s zum zweiten Posten noch weit ist, sagen gequält “Ja!!” und deuten an, dass wir mit dem schlimmsten rechnen sollen. Konkret: die Saale wird so flach und strömt so stark, dass wir mit paddeln nicht mehr vorwärts kommen, also aussteigen und zu Fuß das Boot weiterziehen, das ist nicht so besonders warm, aber funktioniert wenigstens. Nach viel zu langer Wanderung sehen wir einen roten Plups am Ufer leuchten, hoffen mal, dass das die Boje ist, und wandern da also hin. Ziel erreicht? Zumindest die Rückfahrt war ausnehmend entspannend.

Dann wieder aufs Rad, Füße wärmen und neue Wege kennenlernen, nördlich von Neuengönna hab ich nämlich dann auch keine Ahnung mehr, das war spannend. Wir treten immer noch halbwegs entspannt den Berg hoch. Oder ist die Entspannung nur Müdigkeit? Vor Dorndorf werde ich fast von einem fremden Fahrer umgemäht, bin aber schon viel zu breit, um daraufhin Adrenalin auszuschütten. Energie sparen für die letzten Berge! (1300Hm allein auf dem Rad heute, yay.)

Vorm Laserschießen gibt man uns freundlicherweise eine Warte- und Fresspause, ich vernichte fast vollständig die gefüllten Lebkuchen, die heute den Hungerkuchen ersetzen müssen. Die bringen auch Superkräfte – beim Schießen treffen wir heut beide überdurchschnittlich viel. Dafür wissen wir beide, dass wir beim Laufen nichts mehr reißen werden: nochmal 15km zum Abschluss, mit kleiner Klettereinlage. Meine Beine sind unbrauchbar und es ist Wandermodus angesagt. Immerhin Klettern geht noch, wir müssen beide an einem Baum mit Klettergriffen hochsteigen und über eine Slackline drüberhangeln, ich hatte das ganz problemlos in Erinnerung und melde mich also freiwillig für die lange Slackline, an der ich immerhin nicht abstürze und mir keine erheblichen Verletzungen zuziehe, voller Erfolg.

Foto: BIKE POINT JENA

Also hochmotiviert weiter zum letzten Jogg, wobei, da ist ja diese komische Zielzeit, und die werden wir voraussichtlich reißen, wenn wir alles mitnehmen – ein Novum für Jena. Es war keine sinnvolle Aussage zu kriegen, wie Zeitüberschreitungen geahndet werden, also vermutlich gar nicht, aber wir beschließen, vorbildlich pünktlich zu sein und die letzten beiden optionalen Posten auszulassen, denn zufällig sind wir auch ganz schön im Arsch und haben gar nichts dagegen, die Strecke um 2km und so einige Höhenmeter zu verkürzen. Viel Rumgesuche im Dämmerlicht, Phantasien von Apfelmus und Frittierfett, krampfende Schenkel und etwas Nieselregen am Schluss, dann kommen wir in der Finsternis und völlig kaputt kurz vor acht ins Ziel, das war endlich mal wieder ein Jenaer Adventure Race, wie ich mir das vorstelle. Wir kommen wieder. Bestimmt.

Fotos: Undine/BIKE POINT JENA

To Absent Friends (2)

Leb wohl – Oger (15.5.2012 – 11.8.2018)

Es war ein ereignisreicher Sommer. Viel Chaos, viel Veränderung, viele bunt gefärbte Körperteile, ein Umzug, und bei der Gelegenheit dann eben doch der traurige Abschied von 15 Kilo Altmetall, die ich sehr lieb hatte. Mach’s gut, kleines Fahrrad!